Ernährungswende: Umschichtung der Mittel statt Schließung von Finanzierungslücken

Pjotr Tjallema, Triodos Investment Management (IM)
Pjotr Tjallema / Bild: Triodos Investment Management (IM)
Unser derzeitiges Lebensmittelsystem ist nicht in der Lage, Menschen auf gesunde Weise innerhalb der planetarischen Grenzen zu ernähren. Während viele argumentieren, dass die Finanzierung einer Ernährungswende eine gewaltige Herausforderung darstellt, besteht die wahre Herausforderung darin, die Art und Weise, wie wir die verfügbaren Milliarden ausgeben, radikal zu ändern.

Wie viel Geld wird benötigt?

Mehrere renommierte Forschungsinstitute haben die Kosten kalkuliert, die erforderlich wären, um unser derzeitiges Lebensmittelsystem in ein zukunftsfähiges System umzuwandeln. Ein System, das gesunde Lebensmittel für alle produziert, dabei die Grenzen unseres Planeten respektiert und die Landwirte fair bezahlt. Die Schätzungen zu den Kosten einer Umgestaltung des Lebensmittelsystems reichen von 212 Milliarden USD bis hin zu 1,3 Billionen USD pro Jahr. Die großen Unterschiede gehen auf Abweichungen bei den zugrunde liegenden makroökonomischen Annahmen, dem geografischen Geltungsbereich und den Transformationszielen zurück. Es gibt nicht die eine "wahre" Finanzierungslücke - ihre Größe hängt von den Annahmen ab. Über die genaue Zahl lässt sich streiten, aber die Schätzungen zeigen, dass für den Aufbau eines nachhaltigen Lebensmittel- und Agrarsystems eine enorme Summe benötigt wird.

Ausbeuterische Finanzierung ist gängige Praxis

Die Transformation des Lebensmittelsystems nur als Finanzierungslücke zu betrachten, wird der Komplexität der Situation nicht gerecht. Es scheint sinnlos, Geld in den Aufbau nachhaltiger Lebensmittelsysteme zu stecken, wenn man bedenkt, wie viel Geld für das Gegenteil verwendet wird. Von Januar 2016 bis September 2023 haben Banken Kredite in Höhe von mindestens 307 Milliarden US-Dollar an landwirtschaftliche Unternehmen mit hohem Entwaldungsrisiko vergeben. Institutionelle Anleger hielten bis September 2023 schätzungsweise 38 Mrd. USD in Aktien und Anleihen der gleichen Unternehmen. Darüber hinaus haben die Vereinten Nationen mindestens 90 Prozent der öffentlichen Subventionen für den Agrarsektor als "schädlich" eingestuft. So werden beispielsweise rund 80 Prozent der Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU zur Förderung emissionsintensiver tierischer Erzeugnisse verwendet. Die derzeitige Finanzierung macht die Finanzierungslücke noch größer, was das Gegenteil dessen ist, was wir erreichen wollen. Ohne die ausbeuterischen Finanzierungspraktiken anzugehen, wird das bloße Schließen der Finanzierungslücke nicht ausreichen, um den notwendigen Wandel effizient zu erreichen.

Unser Lebensmittelsystem neu denken: Investitionen in zukunftsfähige Lösungen

Die Finanzierungslücke erscheint überschaubarer, wenn man bedenkt, wie viel Geld im Lebensmittelsystem bereits vorhanden ist. Jedes Jahr stellen Regierungen, Banken und Aktienmärkte derzeit etwa 1,3 Billionen USD an neuen Finanzmitteln für das Lebensmittelsystem bereit. Die Herausforderung besteht nicht darin, mehr Geld aufzubringen, sondern die verfügbaren Milliarden effektiver einzusetzen. Wir müssen außerdem damit aufhören, die nicht-nachhaltigsten Komponenten des Lebensmittelsystems, einschließlich der industriellen Produktion von tierischem Eiweiß und von Rohstoffen mit einem hohen Risiko der Entwaldung, zu finanzieren

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umgestaltung des Lebensmittelsystems einen grundlegenden Wandel im Denken und Verhalten sowie bewusste Investitionsentscheidungen erfordert. Es reicht nicht aus, einfach mehr Geld in das System zu pumpen, um die Lücke zu schließen, ohne den Status quo zu verändern.
Pjotr Tjallema ist Nachhaltigkeitsforscher bei Triodos Investment Management (IM)